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Vorratsdatenspeicherung
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Maren Keller, Mi, 28. Sep. 2022
in Aktuelles

Vorratsdatenspeicherung

EuGH urteilt zu deutscher Praxis: nicht vereinbar mit europäischem Recht

Die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland ein politisches Dauerthema. Während die Politik dafür ist, sind Journalisten, Ärzte und Bürgerrechtler dagegen. Dennoch ist sie seit Langem im Gesetz verankert. 

Jetzt hat der EuGH ein richtungsweisendes Urteil gesprochen. Der deutsche Gesetzgeber muss handeln! Alle Infos bei uns.

Vorratsdatenspeicherung – Historie

Als Reaktion auf die Terroranschläge von Madrid, New York und London erließ die Europäische Union im Jahre 2006 die Richtlinie 2006/24/EG. Diese Richtlinie verpflichtete die EU-Mitgliedstaaten zur Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat. Der Deutsche Bundestag setzte die Richtlinie in nationales Recht durch das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ im Bundesgesetzblatt um.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hat die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Anfang an kritisiert. Er nannte sie einen unverhältnismäßigen und damit verfassungswidrigen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Nach zahlreichen Beschwerden, Anträgen und nationalen Gerichtsentscheidungen erklärte der europäische Gerichtshof (EuGH) 2014, dass die Richtlinie der EU seit Inkrafttreten ungültig ist. Die Gründe: Die Richtlinie stelle einen Eingriff von besonders großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten dar, ohne gleichzeitig zu gewährleisten, dass dieser Eingriff verhältnismäßig sei und auf das tatsächlich absolut Notwendigste beschränkt würde.

Vorratsdatenspeicherung: Blaue EU-Fahne mit Sternen vor dämmerigem Himmel. Bild: Pexels/eberhard grossgasteiger

Die Geschichte zur Vorrastdatenspeicherung in der EU beginnt mit den Terroranschlägen um die Jahrhundertwende. Bild: Pexels/eberhard grossgasteiger

Datenspeicherung geht weiter

Trotz des Urteils und der Aussage der EU, keine Initiative zur Verabschiedung einer neuen Vorratsdatenspeicherung-Richtlinie ergreifen zu wollen, ging die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten in Deutschland munter weiter. Denn: Die Bundesregierung hatte im Frühjahr 2015 einen Katalog mit Leitlinien und schließlich einen Gesetzentwurf zur Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung vorgelegt. Im Dezember 2015 wurde das neue „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ verabschiedet und im Bundesgesetzblatt niedergeschrieben.

Ziel des Ganzen war, die Sicherheit im eigenen Land zu erhöhen. Geschehen sollte das durch eine schnelle und effektive Auswertung der Daten. Kritik gab es aber auch, denn das Gesetz sei weitestgehend ohne den Dialog mit den zuständigen und entsprechenden Verbänden entwickelt worden. Der Hauptgeschäftsführer des Digitalverbandes bitkom, Bernhard Rohleder, sprach  2015 von einem Eingriff in die Grundrechte und einer schwierigen Umsetzung des Gesetzes.

Vorratsdatenspeicherung trotz aller Kritik

Den Datenschutz wollte die Regierung durch die geringe Speicherzeit der Verbindungsdaten gewährleisten. Konkret bedeutete das, dass Rufnummern eines Telefonats, Datum, Uhrzeit und Dauer gespeichert werden. Wird von einem Mobiltelefon angerufen, wird auch der Standort ermittelt und gespeichert. IP-Adressen werden ebenfalls gesichert, E-Mails sollen von der Speicherung ausgeschlossen sein. Die Ablauffrist für die Speicherung beträgt zehn Wochen, danach werden die gespeicherten Daten bei den Telekommunikationsanbietern wieder gelöscht.

Das Vertrauen in die Bundesregierung beim Thema Datenschutz war zu dem Zeitpunkt, im Jahre 2015, durch die NSA-Affäre und dem damit zusammenhängenden Missbrauch von Verbindungsdaten weitgehend erschüttert. Edward Snowden hatte damals bekannt gemacht, dass die NSA und weitere Geheimdienste die weltweite Kommunikation massiv und anlasslos überwachen.

Es fiel schwer zu glauben, dass selbst die mitunter tatsächlich zurückhaltenden Maßnahmen zur Speicherung überhaupt eingehalten werden. Denn die Technologie für eine umfassende und langfristige Speicherung von Verbindungsdaten inklusive der Inhalte war längst vorhanden. Aber: Der Gesetzesgeber wollte die Grundrechte mit der Vorratsdatenspeicherung schützen, die Kritiker beklagten eine Beschneidung der Grundrechte durch das neue Gesetz. Seit 1. Juli 2017 findet die „neue“ Vorratsdatenspeicherung statt.

Vorratsdatenspeicherung: Frau mit Handy in der Hand und Laptop auf dem Schoß sitzt auf dem Sofa. Bild: Pexels/Andrea Piacquadio

Wer wann mit wem telefoniert, wer wann wo ist, welche Internetseiten besucht werden – all das und noch mehr erfasst die Vorrastdatenspeicherung. Bild: Pexels/Andrea Piacquadio

Datenspeicherung – der aktuelle Stand

Fest steht, dass das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten dafür sorgte, dass in Deutschland anlasslos Nutzerdaten gespeichert werden. Wenn auch nur für höchstens zehn Wochen. Ausführende waren die Telekommunikationsanbieter. Telekom, Vodafone & Co. müssen protokollieren und speichern, wer wann mit wem über welche Geräte kommuniziert. Dieses Praxis beendet nun der EuGH mit einem aktuellen Urteil.

Ausgenommen waren von der Speicherwut lediglich Telefonseelsorger und E-Mails. Internetseiten sollten ebenfalls nicht gespeichert werden. Da aber viele Anbieter von Internetseiten die IP-Adressen speichern und somit die Computer eindeutig zuordnen können, lässt sich zehn Wochen lang feststellen, wem der Rechner gehörte, über den auf eine bestimmte Webseite zugegriffen wurde. Kritisiert wird vor allem, dass auch vertrauliche Informationen an Journalisten sowie Gespräche mit Ärzten gespeichert werden.

Wie sinnvoll ist die Vorratsdatenspeicherung?

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in erster Linie die Sicherheit der Bürger im Blick. Befürworter betonen immer wieder, dass die Vorratsdatenspeicherung Verbrechen verhindern oder aufklären kann. Deshalb haben vor allem die Dienststellen Zugriff auf die Daten, die sich um die Sicherheit in Deutschland kümmern: Polizeidienststellen, Staatsanwaltschaften, Verfassungsschutzämter, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst.

Kritiker behaupten dagegen, dass die anlasslose Datenspeicherung keinen Vorteil bringt. Sie verweisen in ihrer Argumentation auf Zahlen: Wissenschaftler des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht hatten 2012 festgestellt, dass der Wegfall der ersten Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht als Ursache für Veränderungen bei der Aufklärungsquote gelten kann. Sie widerlegten auch Behauptung, dass die anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetdaten für Ermittlungsbehörden besonders wichtig sei. Das sei allenfalls in Einzelfällen so, aber nicht bei der breiten Masse von Ermittlungsverfahren.

Sogar die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags kamen unter Berufung auf die Zahlen des Bundeskriminalamts zu einem ernüchternden Ergebnis. Demnach führt die Vorratsdatenspeicherung nur zu einer um 0,006 Prozent verbesserten Aufklärungsquote.

Vorratsdatenspeicherung: Drei junge Frauen fröhlich mit einem Handy. Bild: Pexels/Ketut Subiyanto

Für die EU geht die deutsche Praxis zu weit, sämtliche Daten ohne Anlass und vorrätig zu speichern. Bild: Pexels/Ketut Subiyanto

EuGH und Vorratsdatenspeicherung

Mehr als 20 Jahre nach den Terroranschlägen, die die Welt erschütterten und den Streit um die Vorratsdatenspeicherung entfachten, hat nun der europäische Gerichtshof in Luxembourg entschieden, dass die deutsche Praxis, immer alle Daten aller Bürger auf Vorrat zu speichern, sich nicht mit EU-Recht vereinbaren lässt. Die deutsche Praxis ist somit rechtswidrig.

Denn: Die anlasslose Speicherung von persönlichen Daten stelle alle Menschen generell unter den Verdacht, in kriminelle oder staatsgefährdende Handlungen involviert zu sein. Die Entscheidung des EuGH, werde „den Menschen ein Stück Sicherheit und Privatsphäre zurückgegeben“, so Daniel Markuson, Experte für Cybersicherheit bei NordVPN. Denn es sei überhaupt nicht einleuchtend, warum eine staatliche Institution ohne einen gerichtlichen Beschluss in Erfahrung bringen kann, wo sich jemand befindet, wenn, wann und wie oft er eine E-Mail an bestimmte IP-Adressen versendet.

Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Prof. Ulrich Kelber, begrüßt die Entscheidungen EuGH zur deutschen Vorratsdatenspeicherung ebenfalls. Für ihn ist völlig klar: „Ab heute muss endgültig Schluss sein mit den Debatten über anlasslose Vorratsdatenspeicherungen. Wie oft sollen denn die maßgeblichen Gerichte noch ein Stopp-Signal setzen?“

Eine anlasslose und umfassende Datenspeicherung sei aus Sicht des BfDI sowieso nicht erforderlich. Zwar braucht Freiheit Sicherheit, aber eine effektive Strafverfolgung im Internet ist auch ohne die Vorratsdatenspeicherung möglich: Etwa durch die Alternativen „Login-Falle“ und „Quick Freeze-Verfahren“. Bei beiden geht es darum, erst bei einem konkreten Verdacht relevante Informationen zu erfassen. Denn ein über alle Bürger verhängter Generalverdacht hilft nicht, Kriminalität effektiv zu bekämpfen, wie die Zahlen (siehe oben) zeigen.

Nun ist also der Gesetzgeber am Zug. Doch während sich die Einen noch über die europäische Absage zur Vorratsdatenspeicherung freuen, entbrennt bereits der politische Streit.

Vorratsdatenspeicherung: Code über eine Frau projiziert als Symbol für gespeicherte Daten. Bild: Pexels/ThisIsEngineering

Die anlasslose Datenspeicherung ist ein massiver EInfgriff in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte. Sie ist künftig untersagt. Bild: Pexels/ThisIsEngineering

Datenspeicherung – wie geht’s weiter?

Und zwar nicht nur grundsätzlich, sondern zwischen allen Parteien, innerhalb der Regierung und sogar innerhalb einzelner Parteien. Justizminister Marco Buschmann (FDP) verkündete, man werde die Vorratsdatenspeicherung „zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen“ und stattdessen „in Kürze“ das Quick-Freeze-Verfahren einführen.

Die Grünen forderten, das bisherige Gesetz „auf die Müllhalde der Geschichte“ zu verschicken. Fraktionsvize Konstantin von Notz und Rechtsexperte Helge Limburg sehen „für eine wie auch immer geartete Neuauflage […] weder rechtlichen noch politischen Spielraum.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dagegen betonte, sie wolle die Vorratsdatenspeicherung in engem Rahmen wiedereinführen, insbesondere um sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen. Parteikollegin und SPD-Chefin Saskia Esken ist dagegen „froh“ über das EuGH-Urteil und bekräftigt, dass eine „präventive, allgemeine und anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten […] mit dem Europarecht unvereinbar [ist].“

Wie es weitergeht mit der Massenspeicherung persönlicher Daten, wird die Zeit zeigen. Eins ist aber sicher: Die Debatte ist wiedereröffnet und da die Meinungen sehr weit auseinandergehen, wird es reichlich Stoff für Diskussionen geben!

Hintergrund zum aktuellen EuGH-Urteil

Wie kam es überhaupt dazu, dass der EuGH über ein Gesetz urteilt, dass in Deutschland Anwendung findet? Hintergrund ist ein Rechtsstreit der Bundesnetzagentur mit dem Internetprovider SpaceNet und der Telekom. Beide Unternehmen wehrten sich gegen die Speicherpflicht im Telekommunikationsgesetz.

Die Bundesnetzagentur hatte die Pflicht bereits 2017 ausgesetzt, wenige Tage bevor die neue Regel in Kraft treten sollte. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte kurz zuvor entschieden, dass SpaceNet die Daten nicht verpflichtend speichern muss.

Was ist Ihre Meinung zur Vorratsdatenspeicherung? Halten Sie sie für sinnvoll, um kriminelle Machenschaften aufzudecken oder sehen Sie die Gefahr der Orwell’schen Überwachung? Hinterlassen Sie Ihre Meinung gern in unseren Kommentaren.
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Andere Stimmen zum Thema: BfDI, Datensicherheit, Datensicherheit, Computerbetrug, Der Spiegel, Taz

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